Ans Meer und wieder zurück
Projekte Mittelmeer 2015, Atlantik 2018, Ostsee 2019, Schwarzes Meer 2020
Ich habe mit Faszination viele Reiseberichte gelesen von Leuten, die wochen-, monate- oder jahrelang mit dem Fahrrad unterwegs waren; z.B. solchen, die in Bern das Velo bestiegen und schliesslich in Peking wieder vom Rad stiegen. Ich bewundere die Abenteuerbereitschaft solcher Leute. Einen Makel hatten diese Reisen für mich jedoch immer: Am Ziel angekommen, bestiegen die Velohelden jeweils das Flugzeug und – schwupps – waren sie wieder zu Hause.
Mein Konzept von Radtouren dagegen war immer: Da, wo ich das Rad besteige, will ich am Ende auch wieder absteigen, also vor meiner Haustür.
Emotinal ist das ein unglaubliches Erlebnis, wenn du da ankommst, wo du gestartet bist, und realisierst, dass du allein mit deiner Muskelkraft unterdessen am Atlantik oder wo auch immer warst. Mit nichts zu vergleichen!
Immer auch faszinierte mich die Vorstellung, mir ein Ziel vorzunehmen, die Luftlinie dahin zu denken und der Neugierde zu folgen, was alles dazwischen ist. Was kommt alles, wenn ich beharrlich in die und die Richtung unterwegs bin? Das Profil dieser Linie, die Veränderung der Landschaft und Kultur entlang dieser Linie zu erfahren.
Unser Reisen ist viel zu stark zielorientert. Wir stellen uns ein schönes Ziel vor, z.B. Klippen mit rauschendem Meer am Atlantik, und besteigen dann Flugzeug, Hochgeschwindigkeitszug oder Auto und sind in Kürze an unserem Ziel. Die Welt dazwischen gibt es kaum: Endlos viele Büsche ziehen an uns vorbei, Tausende von anderen Autos, ab und zu bekommen wir tatsächlich auch etwas von der Landschaft mit. Mit dem Fahrrad ist das anders: Du bekommst jede Bodenwelle mit, du merkst, wenn es nach Meer zu riechen beginnt, du erlebst Hunderte von trostlosen Dörfchen mit vergangenem Glanz, den Schwatz auf dem Dorfplatz, wenn du mal Pause machst. Das ist die Welt, in der die meisten Leute leben. Du begegnest Hase, Reh, Milan und hörst den Hahn krähen. Du spürst, dass der Wind, der vom Meer her weht, ein anderer ist als der kontinentale Wind…
Mit dem Fahrrad ist man im idealen Reisetempo unterwegs. Man bekommt nicht nur alles mit, man kommt auch sehr weit. Das ist das andere, was mich zunehmend fasziniert hat: Eigentlich kommt man – etwas Fitness und Ausdauer vorausgesetzt – mit einem Fahrrad innert vertretbarer Zeit sehr, sehr weit. Wie weit komme ich mit Muskelkraft? Da ich bis jetzt nie die Möglichkeit eines längeren Timeouts hatte, musste dies stets im Rahmen „gewöhnlicher“ Ferien stattfinden. Aber bis ans Meer müsste es vielleicht reichen? So entstand die Idee zum Projekt Mittelmeer. Wie lange brauche ich, um autonom das Meer zu erreichen? Und wieder zurück?
Und nachdem ich dem Mittelmeer meinen Besuch abgestattet hatte (übrigens 1 Jahr später in ganz anderer Form dasselbe in 24h nochmals), dachte ich: Eigentlich müsste das doch auch mit dem Atlantik möglich sein. Wie lange bin ich unterwegs, bis ich am Atlantik stehe? Und was liegt alles dazwischen?