Vor der Abfahrt stattete ich dem Fluss, der etwas unterhalb der Siedlung lag, einen kurzen Besuch ab.
Die Peene wird wegen ihrer üppigen Vegetation von den Einheimischen gerne mit Stolz „Amazonas des Nordens“ genannt. Kein Wunder, dass es hier so schön ist, denn ich bin wieder in einer „Schweiz“ angelangt, diesmal der Mecklenburgischen Schweiz.
Für den nächsten Abend hatte die Reservation einer Unterkunft nicht geklappt. Eigentlich hätte ich in Havelberg übernachten wollen, wo die Havel in die Elbe mündet. So suchte ich mir statt dessen die nächste grössere Stadt und dachte, dass ich da problemlos ein Hotel finden würde. So steuerte ich Pritzwalk an.
Nachdem ich 4 Hotels ausfindig gemacht hatte, was schon nicht ganz einfach war, stellte ich fest: Das erste öffnete nur für Hochzeiten und andere Feiern, das zweite gar nicht. Im Vierten schliesslich wurde ich als einziger Gast immerhin geduldet.
Das ist die perspektivenlose Situation in manchen Gegenden Ostdeutschlands, sobald man sich ausserhalb der prosperierenden Zentren wie Leipzig, Berlin, Dresden oder den touristischen Hotspots bewegt. Und sie gibt eine Erklärung für manche gegenwärtigen politischen Tendenzen.
Heute wäre der Tag gewesen, an dem ich mein Ziel erreichen sollte, aber die Ostsee wollte mich nicht haben! Ich beabsichtigte nach Anklam zu fahren, dort auf Usedom überzusetzen und auf Usedom der Küste entlang zu fahren. Um dem Tourismus zu entgehen, war meine nächste Unterkunft aber bereits wieder im Landesinneren vorgesehen, in Trittelwitz, einer Handvoll Häuser an der Peene. Die Fahrt durchs Naturschutzgebiet Richtung Anklam war wunderschön.
Die Fähre fuhr nicht und die Abzweigung für Velos nach Usedom verpasste ich. Ich sah nur den Beginn einer für Velos verbotenen Autostrasse. Das Navi leitete mich in die Irre. Nach einiger Zeit merkte ich, dass es mich vom Meer weg in die Richtung der nächsten Unterkunft führte. Ich war frustriert.
Sollte ich nach all den Strapazen mein eigentliches Ziel verfehlen? Und wusste doch gleichzeitig, dass ich am Abend in Trittelwitz sein sollte. Mit einem Blick auf die Karte kam ich zum Schluss, dass ich von der jetzigen Position aus und im Hinblick auf mein Tagesziel am schmerzlosesten ans Meer käme, wenn ich nach Greifswald fahren würde. So raste ich mit gesenktem Kopf, über eine weite Strecke auf einer meist schnurgeraden hässlichen Hauptstrasse Greifswald entgegen, während sich der Himmel zunehmend verdunkelte. Dummerweise liegt aber Greifswald selber gar nicht am Meer.
Die nächste Herausforderung war der Entscheid, auf welchem Weg ich am schnellsten von dort ans Meer käme. Ich geriet zunehmend unter Zeitdruck. So erreichte ich schliesslich die Küste am wohl unromantischsten Ort, den man sich aussuchen konnte, sass auf einer Parkbank auf dem Scheitel eines Damms neben einem Industriedock, sah vorne kurz aufs Meer und hinten beunruhigt auf dunkle Wolken. Irgendwie konnte ich es kaum geniessen, das Ziel erreicht zu haben, und war in Gedanken sorgenvoll schon wieder auf dem Rückweg…
So hatte ich mir die Inszenierung der Ostsee nicht vorgestellt!
Die Weiterfahrt war ein hässliches Rennen gegen die Zeit, gegen den Autoverkehr und gegen ein drohendes Unwetter, belohnte mich aber am Ende mit einem kleinen Paradies in jeder Hinsicht. Die Unterkunft ein Bijou (jedes Zimmer war in einer anderen Farbe liebevoll durchgestylet, meins in Rot), die Gatfreundschaft maximal, das Wetter unterdessen wieder heiter.
Das Tüpfchen aufs -i- war, dass just an diesem Abend im Restaurantgarten ein Livekonzert gegeben wurde. Ich sass mit Dorfbewohnern im Pensionsalter zusammen an einem Tisch und erfuhr dadurch zwischen den musikalischen Darbietungen auch ganz viel darüber, wie die Volksseele in dieser Gegend tickt.